K. Stańczak-Wiślicz et al.: Kobiety w Polsce 1945–1989

Cover
Titel
Kobiety w Polsce 1945–1989. Nowoczesność, równouprawnienie, komunizm


Autor(en)
Stańczak-Wiślicz, Katarzyna; Perkowski, Piotr; Fidelis, Małgorzata; Klich-Kluczewska, Barbara
Erschienen
Kraków 2020: Universitas
Anzahl Seiten
520 S.
Preis
49,00 PLN
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Zok, Deutsches Historisches Institut Warschau

Die staatssozialistischen Systeme traten an, um eine alternative Moderne zu etablieren und die bisherigen gesellschaftlichen Verhältnisse von Grund auf umzugestalten. Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sollten beseitigen werden. Dies galt nicht nur zwischen den „Klassen“, sondern auch zwischen den Geschlechtern. Des Spannungsverhältnisses zwischen dem ideologischen Anspruch auf Gleichheit der Geschlechter und deren realer Umsetzung in der Volksrepublik Polen nimmt sich das Buch von Katarzyna Stańczak-Wiślicz, Piotr Perkowski, Małgorzata Fidelis und Barbara Klich-Kluczewska an. Die kollaborativ geschriebene Monografie zielt darauf ab, einerseits aus der Perspektive der Frauen die Vielschichtigkeit ihrer Erfahrungen im kommunistischen Polen sichtbar zu machen und andererseits die Ansprüche verschiedener Institutionen (wie kommunistischer Partei, Kirche, Medien etc.) gegenüber Frauen zu untersuchen.

Die Monografie folgt einem thematischen Aufbau. Małgorzata Fidelis widmet sich in einem ersten Kapitel der wissenschaftlichen Rahmung durch die Entwicklung der Gender-Theorie sowie der historischen Auseinandersetzung mit (der Erfahrung von Frauen in) den kommunistischen System Ost(mittel)europas, wobei sie die Ausführungen von Joan Wallach Scott aus den 1980er-Jahren zum Ausgangspunkt nimmt. Im zweiten Kapitel beleuchtet Piotr Perkowski die verschiedenen Phasen und Konjunkturen politischer Partizipation sowie Instrumentalisierung von Frauen im polnischen Staatssozialismus. Hier zeigt der Autor, dass trotz des ideologischen Anspruchs des kommunistischen Systems Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert blieben. Es folgt ein weiteres Kapitel aus der Feder von Małgorzata Fidelis, in dem sie sich mit dem politischen Wandel im Hinblick auf die Beschäftigung von Frauen auseinandersetzt und aufzeigt, dass insbesondere das politische „Tauwetter“ nach 1956 sowie die 1970er- und 1980er-Jahre eine (allmähliche) Abkehr vom Ideal weiblicher Erwerbstätigkeit mit sich brachten. Fidelis spricht in diesem Zusammenhang von einer „kommunistischen ‚konservativen Modernität‘“ (S. 161). Piotr Perkowski und Katarzyna Stańczak-Wiślicz beleuchten im vierten Kapitel die Rolle von Frauen in der häuslichen Sphäre, wobei sie deutlich machen, dass trotz aller Propagierung von Gleichstellung und „modernen gleichberechtigen Partnerschaften“ das Gros der häuslichen Arbeit weiterhin Frauen oblag (S. 176ff.).

Stańczak-Wiślicz widmet sich im anschließenden Kapitel der Erziehung von Mädchen und verweist auf die besondere Bedeutung der girlhood studies, die gerade diesen Lebensabschnitt als wichtige Phase der Sozialisation und Identitätsfindung von Frauen untersuchen (S. 220ff.). Sie unterstreicht hier (nochmals), dass polnische Mädchen und Jungen – trotz um Emanzipation bemühter Versuche einiger Medien – meist unterschiedlichen Erziehungsstilen ausgesetzt waren, wobei Mädchen einer restriktiveren Grundhaltung der Eltern (aber auch der staatlichen wie kirchlichen Institutionen) begegneten. Zudem macht die Autorin deutlich, dass Mädchen als besondere Gruppe mit spezifischen Ansprüchen innerhalb der Jugendliteratur und -presse nur selten in Erscheinung traten. Im sechsten Kapitel widmet sich Barbara Klich-Kluczewska der (angestrebten bzw. geforderten) Rolle von Frauen innerhalb der Familie und zeichnet das Spannungsfeld aus kollektiven (d.h. religiösen bzw. gesellschaftlichen) sowie individuellen Ansprüchen nach, in denen sich Frauen bewegten. Hier verdeutlicht sie auch die im Untersuchungszeitraum zunehmende Bedeutung der Kommunikation von Emotionen für eine funktionierende Ehe (S. 311ff.). Zusammen mit Piotr Perkowski beleuchtet Klich-Kluczewska im anschließenden Kapitel die Aufmerksamkeit, die verschiedene Akteure den Körpern von Frauen und der ihnen inhärenten Reproduktionspotentiale im Rahmen der Foucaultschen Biopolitik widmeten. Hierbei thematisieren die Autoren verschiedene Aspekte wie die Medikalisierung von Schwangerschaft und Geburt, Praktiken und Diskurse über Kontrazeptiva, Sexualverhalten und weibliche Lust, Prostitution, sexualisierte Gewalt ebenso wie die Frage nach weiblicher Selbstbestimmung und Reproduktionsrechten. Im letzten inhaltlichen Kapitel wenden sich Małgorzata Fidelis und Katarzyna Stańczak-Wiślicz Alltagsritualen zu, die sich um den weiblichen Körper, Mode und Schönheit drehen, und zeigen den Einfluss westlicher (Konsum-)Vorstellungen auf. Dieser betraf nicht zuletzt die Erotisierung des weiblichen Körpers sowie die Propagierung von Schönheitsidealen, die gar mit Essensvorschriften einhergingen (S. 446). Abgerundet wird die Monografie durch eine treffende Zusammenfassung, in der die Ergebnisse reflektiert und Desiderata sowie Anregungen diskutiert werden.

Die Autor:innen sind ausgesprochene Kenner:innen der in der Monografie behandelten Thematik. Ihr Ansinnen, eine Synthese über (die Erfahrungen von) Frauen in der Volksrepublik Polen zu schreiben, wobei die „Modernität“ des kommunistischen Systems – angelehnt unter anderem an Stephen Kotkin1 – und dessen ideologisch untermauerter Anspruch auf Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern als Klammern dienen, kann nur begrüßt werden. Dabei greifen sie auf eine Vielzahl verschiedener Materialien zurück, die von Medienerzeugnissen über Archivmaterialien, Erinnerungen und Tagebüchern bis hin zu Oral-History-Interviews reichen.

Als roter Faden der einzelnen Kapitel erweist sich das Spannungsverhältnis zwischen ideologischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Tatsächlich realisierter Gleichberechtigung – insbesondere in Hinsicht auf die Erwerbstätigkeit in den sogenannten „neuen Berufen“ zur Zeit des Hochstalinismus – stehen diskriminierende Praktiken und Diskurse gegenüber, die sich mit wenigen Ausnahmen durch die gesamte Zeit der Volksrepublik und durch die verschiedenen beleuchteten gesellschaftlichen Bereiche ziehen. Am deutlichsten wird dies bei der Erwerbstätigkeit von Frauen, die in unterschiedlichem Maße gefördert bzw. eingeschränkt wurde – je nach wirtschaftlicher Lage. Die Autor:innen arbeiten die konservative Wende spätestens seit den 1970er-Jahren heraus, als Frauen staatlicherseits als „Mutter [und] Arbeiterin“ (in dieser Reihenfolge) definiert wurden (u.a. S. 78). Diese Sichtweise entsprach jedoch durchaus auch der Haltung des anderen bedeutsamen Akteurs dieser Epoche, der katholischen Kirche (S. 85, 219). Diese zeigte sich durchweg skeptisch gegenüber der Erwerbstätigkeit von Frauen und verwies auf die (vermeintlich) negativen Auswirkungen auf Ehe und Familie. Wie die Autor:innen deutlich hervorheben, erlebten Mädchen und junge Frauen die existierende Doppelmoral (auch hinsichtlich des Sexualverhaltens) hautnah. Schließlich blieb auch die Unterrepräsentation von Frauen auf politischen (und wirtschaftlichen) Führungsebenen trotz aller ideologischen Bekenntnisse zur Gleichberechtigung über die gesamte Zeit der Volksrepublik bestehen.

Durch den thematischen Aufbau kommt es an einigen Stellen zu Redundanzen, die sich bei diesem Format sicherlich nicht immer vermeiden lassen (etwa S. 138f.); bisweilen erschweren chronologische Sprünge in den Beiträgen die Lektüre (etwa S. 119). Zudem haben sich in die Darstellung einige kleinere Ungenauigkeiten eingeschlichen, wie etwa die Behauptung, der Code Napoléon sei im hohenzollerischen Preußen eingeführt worden (S. 113). Auch fehlt eine ­Diskussion, was unter „Modernität“ zu verstehen sei (S. 13). Die Autor:innen gehen überdies nicht auf die neuerliche Bedeutung ein, die die polnische kommunistische Partei vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und politischen Krise in den 1980er-Jahren den Angelegenheiten von Frauen widmete. Damals wurde in Nachfolge des 1953 aufgelösten Frauenausschusses beim Zentralkomitee der Partei eine Frauenkommission eingerichtet, die sich parteiintern – abseits der staatlichen Frauenorganisationen Frauenliga und Landesfrauenrat – explizit Frauenangelegenheiten widmete. Auch wenn die Reichweite dieser Kommission noch weiter untersucht werden muss, so wird klar, dass sich die Parteiführung der besonderen Lage der Frauen während der Krise bewusst war – auch wenn ihre Politik in den 1980er-Jahren zunehmend von konservativen Ideen hinsichtlich Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit durchdrungen war.

Wie die Autor:innen in ihren Schlussbemerkungen treffend formulieren, sollte das Jahr 1989 nicht als absolute Trennlinie zwischen Kommunismus und Postkommunismus verstanden werden. Zahlreiche Entwicklungen, die in der Spätphase der Volksrepublik Polen begannen, setzten sich nach 1989 fort bzw. nahmen an Fahrt auf. Zudem ist den Autor:innen zuzustimmen, wenn sie auf die Notwendigkeit verweisen, durch synchrone Betrachtungen der Prozesse in verschiedenen Ländern der „Ersten Welt“ die Dichotomie zwischen „Ost“ und „West“ aufzuheben und Gemeinsam- und Gleichzeitigkeiten zu untersuchen. Gleiches gilt für ihren Hinweis, dass für eine holistische Betrachtung der Geschlechterbeziehungen in der Volksrepublik Polen die Masculinity Studies einbezogen werden müssten, deren Ansätze in Polen bereits erste Umsetzungen erfahren haben (S. 463) und darüber hinaus mit Blick auf andere sozialistische Länder verfolgt werden.2 Zugleich illustrieren die Abschlussbemerkungen jedoch auch die Schwierigkeit, die Historiker:innen mit kontroversen Themen haben, die bis an die Gegenwart heranreichen. Der etwas sehr optimistischen Behauptung des (globalen) Wiedererstarkens feministischer Bewegungen, die sich unter anderem in Polen gegen die „stärker werdende Welle des autoritären Populismus“ richten (S. 462f.), vermag man in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen nicht widerspruchslos zuzustimmen.

Die benannten kleineren Mankos können den positiven Gesamteindruck jedoch nicht trüben. Es wäre daher unbedingt wünschenswert, wenn diese hervorragende Monografie durch eine Übersetzung einem größeren Kreis von Rezipient:innen zugänglich gemacht werden könnte, die sich mit ähnlichen Fragestellungen in anderen nationalen und regionalen Zusammenhängen beschäftigen.

Anmerkungen:
1 Stephen Kotkin, Magnetic Mountain. Stalinism as a Civilization, Berkeley 1997.
2 Siehe Peter Hallama (Hrsg.), Special Forum on Socialist Masculinities, in: Aspasia. International Yearbook of Central, Eastern, and Southeastern European Women's and Gender History 15 (2021), S. 1–164.

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